Motorrad

Zwei mal die Eins

Zwei mal die Eins

von Helmut Strauß (Kommentare: 0)

Freuen sich über ihren gelungenen Café Racer Umbau: Jens Meinl (links) und Steven Marazzani (rechts).

Freuen sich über ihren gelungenen Café Racer Umbau: Jens Meinl (links) und Steven Marazzani (rechts).

Um klassische Motorräder sollte es gehen und praktisch sollte sie sein, die Abschlussarbeit von Jens Meinl und Steven Marazzani an der Meister- und Technikerschule in Saarbrücken. Mit dem Umbau einer Suzuki GS 550 zu einem Café-Racer haben sie genau das erreicht – und dafür die Note eins bekommen!

Für Dieter Schäfer, Leiter der Saarländischen Meister- und Technikerschule in Saarbrücken, ist es ein „interessantes, ja sogar außergewöhnliches Projekt“, was ihm Jens Meinl und Steven Marazzani als Abschlussarbeit ihrer Techniker-Ausbildung präsentiert haben. „Dokumentation eines Motorradumbaus“, so lautet der Kurztitel der Arbeit, der eigentliche Titel im Fachbereich Motorentechnik/Kraftfahrzeugtechnik geht da schon eher ins Detail: „Konstruktiver Umbau eines Kraftrades unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften“. 

Doppelqualifikation:

Beim „Kraftrad“ handelt es sich um eine Suzuki GS 550 D mit einer Erstzulassung aus dem Jahr 1978 und rund 30 000 km auf dem Buckel, die sich gegenüber der 1979 eingeführten E-Version vor allem durch ihre Speichenräder und die Trommelbremse am Hinterrad unterscheiden lässt. „Konstruktiver Umbau“, damit wird eine Zielsetzung der Arbeit umschrieben, nämlich das Motorrad nicht wieder in den Originalzustand zu versetzen, sondern in wesentlichen Grundzügen komplett neu zu gestalten – und dann sind es auch noch die „gesetzlichen Vorgaben“: Klar, das Motorrad sollte ohne Probleme mit TÜV auch auf der Straße bewegt werden können. Einige Anforderungen und Ansprüche also, und all das im Rahmen einer Ausbildung, in diesem konkreten Fall sogar parallel in zwei Ausbildungsgängen.

Das muss uns Dieter Schäfer näher erklären. „Wir bieten unter dem Dach der Handwerkskammer in der Saarländischen Meister- und Technikerschule zwei Ausbildungsgänge an, zum einen in zwei Semestern die Ausbildung zum Meister im Handwerk und zum anderen in vier Semestern die Ausbildung zum Staatlich geprüften Techniker. Die Techniker-Ausbildung ist in der Wirtschaft noch gar nicht so sehr bekannt, aber gegenüber der Meister-Ausbildung die fachlich höhere Qualifikation. Als einzige Schule in Deutschland gibt es bei uns eine Doppelqualifikation: Studierende der Technikerschule können während ihrer Ausbildung parallel dazu auch den Meisterbrief erwerben. Während der vier Semester, also in zwei Jahren, müssen die Schüler in der Techniker-Ausbildung sehr viel Theorie büffeln, während die eigentlichen Praxiskenntnisse über die Abschlussarbeit nachgewiesen werden müssen.“ 

Auch viele Details zeigen, wieviel Arbeit in dem Umbau steckt.

Genau das ist das Thema, das passt zu uns

Wer sich auf die Doppelqualifikation einlässt, dem stehen ganz schön harte Zeiten bevor, wie Jens und Steven – der Einfachheit halber belassen wir es bei den Vornamen - übereinstimmend bestätigen: „Gerade im ersten Jahr die vielen Fächer, dann viele Prüfungen, viele Stunden mit viel Theorie, das kann einen schon ganz schön schaffen, auch wenn wir für diese weitere Ausbildung eigentlich schon ganz gute Voraussetzungen mitbrachten.“ Beide – Jens ist 28 Jahre jung, Steven 31 Jahre – sind ausgebildete KFZ-Mechaniker, waren mehrere Jahre bei der Bundeswehr und hatten damit von dort aus schon verschiedene Voraussetzungen für die Meister-Ausbildung mitbekommen.

Wie es der Zufall will, lernen sie sich im August 2013 auf dem Hof der Handwerkskammer kennen und entdecken schnell ihr gemeinsames Hobby: Motorräder. Beide wissen, dass am Ende der Techniker-Ausbildung eine praktische Abschlussarbeit vorgelegt werden muss, und beide haben die gleiche Meinung dazu: „ Es darf einfach nicht etwas sein, was schon hundertfach in Büchern beschrieben worden ist, es muss was praktisches sein!“ Klassische Motorräder, das ist das eine Lieblingsthema, das andere betrifft die Café Racer, die mit den Serienmotorrädern kaum noch etwas gemeinsam haben und mit ihrem Erscheinungsbild zugleich eine Geschichte widerspiegeln, die viel mit Jugend, Freiheit und Authentizität ihrer Fahrer zu tun hat. Und, Café Racer sind aktueller denn je, wie viele Treffen und Veranstaltungen dazu mehr und mehr beweisen. Spontan ist klar: Genau das ist das Thema, das passt zu uns.

Ohne Probleme mit TÜV und Polizei

Für Steven hat ihr gemeinsam gefundenes Thema auch viel mit dem Thema Leidenschaft zu tun: „Nach dem Ende unserer Bundeswehrzeit mussten wir einfach was anderes machen, etwas aufbauen, und das mit eigenen Händen. Bei den heutigen Motorrädern fällt das schwer: Alles ist perfekt, vieles lässt sich nur noch elektronisch kontrollieren und einstellen, der Motor ist verkleidet – irgendwie fehlt uns dabei die Emotion. Und gerade Motorräder strahlen viel an Emotionen und damit auch an Leidenschaft aus, die man sieht, fühlt und vielleicht auch riecht. Das finden wir nur noch an älteren Exemplaren, und dort kann man selbst noch schrauben und das Motorrad vielleicht auf seinen individuellen Geschmack hin gestalten. Das hat uns gerade bei den Café Racern so gefallen, mal unabhängig davon, dass diese Gattung ja auch ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Hintergrund hat. Und die Szene rund um die Café Racer ist höchst aktuell und sogar modern, auch das hat uns absolut interessiert. Vielleicht passt diese Auffassung so gar nicht in unseren Ausbildungsgang, der ja eigentlich zum Ziel hat, nachher in Berufen arbeiten zu können, wo du viel von elektronischen Kontroll- und Einstellmöglichkeiten wissen musst oder vielleicht selbst irgendwo in der Konstruktion von neuen Motoren oder ähnlichem arbeiten kannst. Für uns war es aber wichtig, mit den eigenen Händen was zu machen, was ganz praktisches halt.“ Jens ergänzt: „Und es musste ein Ausgleich zur Theorie sein, die wir die ganze Woche um die Ohren hatten. Also samstags ab in unsere Werkstatt, das genau das war‘s.“

Ein weiterer Gesichtspunkt darf ebenfalls nicht vernachlässigt werden, nämlich die Hürde TÜV, wenn sie denn eine ist. Dazu Jens: „Wir haben stundenlang im Internet recherchiert und dabei festgestellt, dass viele Café Racer-Umbauten einfach nicht straßenzulassungsfähig sind. Das kam nicht in Frage, denn mit unserem Motorrad wollten wir ohne Probleme mit TÜV und Polizei auf der Straße fahren.“ Gesagt, getan – der Titel der geplanten Abschlussarbeit wurde bei der Prüfungskommission der Technikerschule eingereicht und auch akzeptiert –es konnte endlich losgehen!

Zwanzig Jahr in einer Scheune

Bei der Auswahl des geeigneten Motorades gab es ein wesentliches Entscheidungskriterium: Erschwinglich sollte es sein, und aufgrund seines Alters und der Motorencharakteristik gut in das Konzept eines möglichen Café Racers passen, mit großem Rahmendreieck und einen nach hinten gerade verlaufenden Rahmen. Die Wahl fiel schließlich auf eine Suzuki GS 550, die bei ihrem Erscheinen 1977 immerhin als eine der besten japanischen 50-PS Motorräder galt, vielleicht sogar als die beste…: „Rasanter Ableger“, so der Titel damals bei „PS“, das in einem Langstreckentest über 18000 km immerhin das Fahren als „echtes Vergnügen“ und das Motorrad insgesamt als „eines der angenehmsten Fahrzeuge aus Fernost“ bezeichnete. Nach längerer Internetsuche war das passende Modell gefunden, eine D-Version mit Erstzulassung 1978 und vor allem mit Speichenrädern, die für Jens und Steven wegen des Erscheinungsbildes unverzichtbar waren. In einer kalten Winternacht wurde das Bike schließlich dem Besitzer „abgeschwatzt“, was sich dann am nächsten Morgen aus dessen Sicht zumindest als durchaus „nachvollziehbar“ und bei Jens und Steven nicht unbedingt als „gutes Geschäft“ herausstellen sollte. 

Zwanzig Jahr in einer Scheune abgestellt, ohne eingeschraubte Zündkerzen – all das hatte an der Suzuki seine Spuren hinterlassen. Komplettzerlegung war angesagt, was die jungen Schrauber allerdings keinesfalls entmutigte. Für die Arbeiten am Motor wurde eine eigene Montagevorrichtung konstruiert, die auch für andere Motoren geeignet sein sollte. Auf Basis eines im Rahmen frei verschiebbaren Vierkantprofils gibt es verschiedene Motorhalter, die auf dem Vierkantprofil mit jeweils zwei Sechskantschrauben befestigt werden. Die Komplett-Zerlegung des Motors folgte dem alten Suzuki Werkstatthandbuch und brachte Erstaunliches zu Tage: Nach einem Kolbenringbruch war der Motor irgendwann auf 600 cm³ aufgebohrt und mit Yamaha Kolben bestückt worden. Dies machte eine neue und eine um 0,2 mm stärkere Zylinderkopfdichtung erforderlich, um die ursprüngliche Verdichtung von 8,6:1 weiterhin beizubehalten. Das waren die Ergebnisse eigener Berechnungen, um damit einen möglichen neuen Motorschaden zu vermeiden. Zusammenbau und Einstellung des Motors verliefen relativ reibungslos, die verschiedenen Motorbaugruppen wurden teilweise salzgestrahlt und mit hitzebeständigem Lack überzogen. Auch die Vergaser blieben nicht verschont: Komplett zerlegt, gereinigt und wieder zusammengebaut, so lautete auch hier das Motto.

Eine Punktlandung, genau einen Tag vor Abgabetermin

Beim Rahmen ging es zunächst mal darum, die für den Café Racer nicht mehr benötigten Halter im Rahmendreieck, wie zum Beispiel die der Seitendeckel, zu entfernen und das Rahmenheck um rund 20 cm zu kürzen. Damit sollte die wohl sichtbarste Änderung erfolgen, nämlich der Umbau von Zwei- auf Einsitzer. Alle Änderungen wurden vorab mit dem zuständigen TÜV besprochen und entsprechend abgestimmt. Der neue Sitz ist dabei eine weitere Besonderheit, denn bewusst wurde auf GFK oder Aluminium verzichtet – „zu einfach in dem einen, zu teuer in dem anderen Fall!“ Blech war angesagt, und für Steven genau die handwerkliche Herausforderung: „Als Grundgerüst diente ein 4 mm Rundstahl, der mit einer Streckmaschine in die passenden Radien gebogen wurde. Der Rundstahl wurde passgenau zu Rahmen und Tank verschweißt. Die Haltepunkte des alten Sitzes werden weiter genutzt, wobei als Sitzbankschloss ein Besenstilhalter dient – eher eine zufällige Entdeckung, aber 100 Prozent genau. Der Sitzbankhöcker besteht aus Blech, das wir mit Hilfe von Treib- und Schlichthämmern so lange bearbeitet haben, bis es endlich unseren Vorstellungen entsprach. Schweißnähte und kleinere Unebenheiten haben wir dann verschliffen, Nähte und Vertiefungen wurden verzinnt, anschließend wieder verschliffen und mit Klarlack konserviert.“ Ähnlich wurden später der Tank und das Vorderradschutzblech überarbeitet. Das hat Stunden gedauert, aber das Ergebnis beweist, dass es doch Spaß gemacht haben muss. Als Sitz dient ein braunes, abgestepptes Leder, Reminiszenz an den Begriff „Café gleich Coffee“ und damit also die Farbe Braun. Auf diese Idee muss man erst mal kommen…Bei den so ach geliebten Speichenrädern hieß es wieder einmal: „Versuch macht klug“. Keiner von beiden hatte bisher etwas mit dem Einspeichen neuer Speichen zu tun. Umso überraschender die Entdeckung, dass es unterschiedlich lange Speichen gab, einmal als Innen-, dann als Außenspeichen. Aber auch das wurde letztendlich gemeistert, beide Räder wurden anschließend auf den korrekten Höhen- und Seitenschlag hin kontrolliert.

Die Elektrik, ein oftmals schier unendliches Thema, das in diesem Fall äußerst elegant gelöst wurde: Nach dem Motto „Wir leben im 21. Jahrhundert“ wurde der komplette alte Kabelbaum rausgeworfen und durch ein Can-Bus System ersetzt, mit einem programmierbaren Steuergerät, einem für die Lenkerarmaturen zuständigen „m-Button“ (damit auch ein Steuergerät) und fünf Tastschaltern, die ebenfalls individuell programmierbar sind. Eine kontaktlose Zündanlage gehört selbstverständlich wie die Lithium-Ionenbatterie und ein Hallgeber am Hinterrad für den Km-Stand und die Geschwindigkeit mit dazu. Für die Steuereinheit, Batterie und Zündschloss samt Gleichrichter, Spannungsregler und Anlasserrelais wurde ein eigener Elektronikkasten aus Aluminium gebaut, der unter der Sitzbank gut versteckt ist.

Mit den verschiedenen Änderungen, wie Kürzung des Rahmens, Rauswurf des alten Kabelbaums, neue und leichtere Batterie, 4 in 1 Auspuff- sowie neue Licht- und Blinkeranlage konnte das ursprüngliche Gewicht von 218 kg vollgetankt auf immerhin 193 kg reduziert werden – ein tolles Ergebnis, auch vor dem Hintergrund der ganzen Arbeit, die darin steckt. Die TÜV Abnahme,  wie es Steven lächelnd anmerkt, „eine Punktlandung, genau einen Tag vor Abgabetermin“, war absolut unproblematisch, auch dank der Tatsache, dass der zuständige TÜV Vertreter ständig in das Projekt mit  eingebunden war. Dokumentiert ist die ganze Arbeit in einem immerhin 79 Seiten starken Abschlussbericht mit vielen Fotos über den Verlauf der verschiedenen Arbeiten, eigenen Schaltplänen und vielen Skizzen mit Entwürfen und handschriftlichen Berechnungen.

Und das Fahren macht auch noch Spaß dazu!

Fast alles selber gemacht

Zwei Jahre Arbeit, fast alles selber gemacht – mit Ausnahme des Beziehens des selbstgebauten Sitzes und der Pulverbeschichtung des Rahmens und der Felgen, Materialkosten von etwas mehr als 3200 Euro und über 500 Arbeitsstunden: Steven und Jens sind zurecht stolz auf das Ergebnis, das sich mehr als sehen lassen kann: „So was schweißt zusammen, im wahrsten Sinne des Wortes, wir haben alle Hochs und Tiefs gemeinsam erlebt und vieles an eigenen Emotionen mitbekommen, was sonst wohl kaum der Fall sein dürfte!“ Das merkt man dann auch bei der Fotosession im idyllisch gelegenen Blieskastel, wo die beiden die alte Lagerhalle einer denkmalgeschützten Mühle nutzen können. Noch mehr ältere Motorräder, der abgetrennte Raum zur Blechbearbeitung, ein kleines Büro und natürlich die eigentliche Werkstatt, das hat was. Wie die Fahraufnahmen, wo die zufällig vorbeikommenden Wanderer immer wieder neugierig ein Auge auf den Café Racer namens „# 01“ riskieren. Was hat es damit übrigens auf sich? „Hashtag ist ja klar, hat auch was mit Emotionen zu tun, und die Ziffernkombination Null-Eins soll eigentlich besagen, dass es das erste Exemplar einer Serie sein könnte, so wie es unser Betreuer an der Meister-und Technikerschule, Thomas Klam auch vorgeschlagen hatte. Mal sehen!“

Das ist also die zweite Eins, die erste Eins betrifft die Notengebung für die Arbeit, auch eine Eins – und das sicherlich zu Recht. Ein kurzer Fahreindruck auf den asphaltierten Feldwegen vermittelt schnell das Gefühl, auf einem echten Café Racer zu sitzen, was Sitzposition und Feeling anbelangt, offen, ehrlich und vielleicht auch etwas hart in der Federung. Erstaunlich leise ist das Auspuffgeräusch, ebenso ruhig und ohne mechanische Geräusche der Motorlauf, nur ganz leicht spürbare Vibrationen, so kennt man die Suzuki auch schon von früher. Wahrscheinlich lag’s am zu geringen Reifenluftdruck und an den noch nicht ganz perfekt abgestimmten Vergasern, dass es beim Fahrvergnügen noch nicht ganz zu passen scheint, aber das dürfte für die beiden „Meister und Techniker“ wohl das geringste Problem darstellen. „Es gibt immer noch einiges zu tun und zu verbessern, das ist klar, aber auch das ist ja das Schöne, weil wir es selbst machen können.“

Bleiben die beiden uns denn als Schrauber erhalten? Nicht ganz, Jens geht in die CNC-Fertigung, Steven bewirbt sich noch – hat aber mal „zur Vorsicht“ ein Gewerbe angemeldet, um sich „weiter mit Motorrädern austoben zu können.“ Ganz zum Beruf haben sie ihre „Berufung“ also nicht gemacht, aber Schrauben in der Freizeit wird es auch zukünftig geben. Projekte und Ideen sind genug da, sei es der Umbau einer Honda CB 200 oder einfach das Weiterbauen an ihrem Suzuki Café Racer: Spaß muss es machen und mit viel Leidenschaft verbunden sein. Dann passt es genau!

Text: Helmut Strauß

Fotos: Holger Neu

Dieser Beitrag wurde in kürzerer Form im OLDTIMER MARKT, Heft 10-Oktober 2015 veröffentlicht.

 

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